3 Fragen an Anja Surmann

Kategorie: Nachhaltigkeit

Anja Surmann war Staatssekretärin in NRW und Geschäftsführerin von KlimaDiskurs.NRW. Bei der diesjährigen Beiratssitzung der Sparkasse Westmünsterland sprach sie über die Energiewende im Westmünsterland. In einem kurzen Interview erläutert sie ihre Einschätzungen und Forderungen.

 

1.Vor uns liegen intensive Jahre der Transformation. Die Klimakrise gilt es möglichst abzumildern sowie Wirtschaft und Industrie auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu begleiten. Wo sehen Sie konkrete Ansatzpunkte?

Die Energiewende wird nicht in einem einzelnen Sektor entschieden: Wärme, Verkehr, Energiewirtschaft, Digitalisierung und auch Finanzierung – sie alle sind relevant und müssen sektorübergreifend gedacht werden. Auch Bund, Land und Kommunen müssen zusammenarbeiten. Das ist komplex und äußerst fordernd. Es geht nicht nur darum das Klima zu schützen, sondern auch den Wirtschafts- und Industriestandort nachhaltig zu stärken und den Wandel sozial gerecht zu gestalten.

Ich sehe vor allem drei Schlüsselfaktoren, ich nenne sie auch Booster, die die Klimakrise und den Transformationsprozess beeinflussen können.

Zum einen brauchen Kommunen mehr Klarheit, Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Der Klimawandel kennt weder geografische noch politische Grenzen und die Kommunen sind die Orte an denen die Energiewende ganz konkret umgesetzt wird. Sie stehen in Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit der lokalen Wirtschaft, mit sozialen und kulturellen Einrichtungen und haben Zugriff auf die Infrastruktur vor Ort – das macht sie zu wichtigen Playern. Flächendeckend klimaaktive Kommunen können in großem Umfang zur Erreichung der Klimaziele beitragen. Damit das gelingt, brauchen sie Rahmenbedingungen, die der Größe der Aufgabe gerecht werden. Darüber muss auch mit der Bundes- und Landesebene gesprochen werden.

Wir müssen uns zweitens, dringend um das Thema Fachkräftemangel kümmern. Er ist ein Grund für den behäbigen Fortschritt der Energiewende. Handwerk, Industrie, Wohnungsbaugesellschaften und auch die Kommunen haben zu wenig qualifiziertes Personal, um die Umsetzung schnell voranzubringen. Kluge und zeitgemäße Recruitment-Strategien sowie Aus- und Weiterbildungskonzepte mit Fokus auf Klimaschutz und Energiewende sind nötig, um mehr Fachkräfte in den Umbau vor Ort zu bekommen. Eine starke und attraktive Region wie das Westmünsterland, die den klimagerechten Umbau unserer Gesellschaft als Gemeinschaftsaufgabe begreift und ihn sich nachhaltig zur Aufgabe macht, kann ihre Wettbewerbssituation auf dem Arbeitsmarkt durchaus verbessern und Fachkräfte gewinnen.

Akzeptanz und Partizipation gehören für mich zum dritten Schlüsselfaktor für das Gelingen der Energiewende. Vor uns liegen komplexe und auch unbequeme Maßnahmen. Bei fehlender Akzeptanz und Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger wird die Energiewende weiter ins Stocken geraten. Andersherum: Tempo und Impact der Transformation steigen mit der Breite der Bündnisse und dem Konsens unter den Akteuren. Die Herausforderung besteht darin, dass wir die positive Grundhaltung, die bei vielen vorhanden ist, in konkrete Maßnahmen überführen. Damit die Energiewende vor Ort gelingt, müssen wir die Bürgerinnen und Bürger zu Beteiligten machen und dürfen sie nicht als Zuschauer am Spielfeldrand stehen lassen.

 

2.Wie ist das Westmünsterland aus Ihrer Sicht für die Energiewende aufgestellt?

Ich finde, das Westmünsterland hat sich bereits mit guten Konzepten und Projekten auf den Weg gemacht. Da sind zum einen die Klimaschutzmanagerinnen und -manager, die in vielen Kommunen ihre Arbeit aufgenommen haben. Nach einer Studie vom Umweltbundesamt entfalten sie eine enorme Wirkung, beispielsweise im Hinblick auf den gesteigerten Abruf von Fördermitteln, das Fördervolumen und die Reduzierung von Treibhausgasen. Das Westmünsterland war früh beim Thema Energiegenossenschaften aktiv, bei denen Bürgerinnen und Bürger an den Gewinnen der beteiligt werden. Das schafft Akzeptanz und motiviert. Dennoch gilt auch für diese Region: Wir sind noch nicht schnell genug. Unser größter Gegner ist die Zeit. Transformation braucht Geschwindigkeit! Wir haben wichtige Jahre vergeudet und müssen nun unter welt- und energiepolitisch schwierigen Rahmenbedingungen Fahrt aufnehmen! Vor allem bei der Wärme- und der Mobilitätswende müssen wir Tempo machen.

 

3.Für die Energiewende, das Abmildern der Klimakrise und die nachhaltige Transformation der Wirtschaft haben wir einiges zu tun und sind viel zu spät gestartet. Gibt es daneben auch positive Erkenntnisse?

Auch, wenn es angesichts der Gleichzeitigkeit der großen Krisen schwerfällt, bleibe ich optimistisch, dass wir den Umbau hinbekommen können. Auf EU-, Bundes- und Landesebene haben wir uns zur Einhaltung ehrgeiziger Klimaziele verpflichtet und wir haben auch die nötigen Werkzeuge zur Umsetzung: Das Wissen, die Technologien und grundsätzlich auch das nötige Kapital. Das Westmünsterland steht nicht bei null, sondern kann den Schwung gelungener Projekte mitnehmen. Zudem spürt man ein großes Interesse der Kommunen, der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft, sich mit den komplexen Themen Energiewende und Klimakrise auseinanderzusetzen und den Transformationsprozess voranzubringen. Vor uns liegen intensive Jahrzehnte des Wandels, in vielen Lebens- und Wirtschaftsbereichen. Auch bei unseren gegenwärtigen Multikrisen dürfen wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren, müssen einen klaren Kopf bewahren und mit konsequenten Schritten nach vorne gehen. Es wird anstrengend, keine Frage, aber der Blick in ein klimaneutrales und nachhaltiges Westmünsterland, in dem die Menschen gut und gerne leben, zeigt, dass es sich lohnt. Allen Akteurinnen und Akteuren vor Ort in Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft wünsche ich Mut, Weitsicht und viel Erfolg beim Umbau.

Vielen Dank für das Gespräch Frau Surmann!